Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion
zum 300-jährigen Jubiläum einmal anders
Von den großen oratorischen Werken Johann Sebastian Bachs ist die Johannes-Passion das einzige, das nicht in einer endgültigen Gestalt überliefert ist. Bach hat die Johannes-Passion zwischen 1724 und 1749 nachweislich mindestens viermal aufgeführt und jedes Mal Änderungen vorgenommen - teilweise betrifft dies lediglich Details der Instrumentierung und der Stimmführung, teilweise ersetzt Bach ganze Sätze und ändert damit den Charakter der Komposition.
Die dieses Jahr erklingende zweite Fassung von 1725 - aufgeführt in der Leipziger Thomaskirche am Karfreitag vor genau 300 Jahren - weicht am stärksten von der üblicherweise gespielten Fassung ab. Sie beinhaltet insgesamt fünf gewichtige neue Sätze: Zwei groß angelegte Choralfantasien bilden den neuen Rahmen der Passion, darunter der später in die Matthäus-Passion übernommene grandiose Chor über Sebald Heydens Passionslied „O Mensch, bewein dein Sünde groß“. Drei vollständig neue Arien bestechen durch ihre geradezu opernhafte Emotionalität und unterstreichen damit die Dramatik der Handlung. Darüber hinaus gibt es viele Abweichungen im Detail, vor allem in den Rezitativen und Chorälen des ersten Teils.
Warum nun nimmt Bach 1725 diese Änderungen vor? Der Grund dürfte zunächst ein pragmatischer sein: Sicherlich wollte Bach nur ein Jahr nach der ersten Aufführung der Johannes-Passion nicht wieder die gleiche Musik präsentieren. Die deutlich gesteigerte Bedeutung der Choräle in der Fassung von 1725 lässt sich dadurch erklären, dass die Fassung II der Johannes-Passion zeitlich am Ende von Bachs sogenanntem „Choralkantaten-Jahrgang“ steht: Fast ein ganzes Jahr lang hatte Bach für seine sonntäglichen Kantaten jeweils Melodie und Text eines Chorals als Grundlage genommen.
Da liegt es nahe, dass er dieses traditionelle Element auch in der Johannes-Passion stärken wollte. Mit den diesjährigen Passionskonzerten des Bachchors haben Sie die Möglichkeit, Vertrautes neu zu entdecken und Bachs Johannes-Passion einmal etwas anders zu erleben.
Robert Waltemath